Zehn Studierenden stehen 4,3 Auszubildende gegenüber

Akademisierung, Individualisierung und Privatisierung: All dies sind Auswirkungen eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, der sich auch im Bildungssystem niedergeschlagen hat. In den Daten zu Schulbesuch, Ausbildung und Studium spiegeln sich politische Entscheidungen ebenso wider wie veränderte Wertevorstellungen. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Zahl der Studierenden, die seit 1950 mit wenigen Ausnahmen gestiegen ist. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) aus Anlass seines 75-jährigen Bestehens mitteilt, gab es 2021 in Deutschland weit mehr als doppelt so viele Studentinnen und Studenten (2,9 Millionen) wie Auszubildende (1,3 Millionen). Auf 10 Studierende kamen somit 4,3 Auszubildende. 1950, im früheren Bundesgebiet, war das Verhältnis noch ein völlig anderes: Auf 10 Studierende kamen 75,5 Auszubildende. 971 000 Menschen machten damals eine Ausbildung, wohingegen nur 129 000 Personen für ein Studium eingeschrieben waren.

Zahl der Auszubildenden von 1985 bis 2021 um fast ein Drittel gesunken

Das duale Ausbildungssystem mit seiner engen Verzahnung von Theorie und Praxis galt traditionell als Flaggschiff des deutschen Bildungssystems. Viele Jahre war die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen größer als das Angebot – Stichwort “Lehrstellenmangel”. Mittlerweile wird es jedoch für Ausbildungsbetriebe zunehmend schwieriger, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen; zum einen, da wegen der demografischen Entwicklung weniger junge Menschen die Schule verlassen, zum anderen, da vielen ein Studium attraktiver erscheint. In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik war die Zahl der Auszubildenden fast ununterbrochen gestiegen: von 970 900 im Jahr 1950 auf 1 831 500 im Jahr 1985. Seit diesem historischen Höchststand ist sie überwiegend rückläufig. Zum Jahresende 2021 befanden sich 1 255 400 Personen in der dualen Berufsausbildung. Das waren 14,0 Prozent weniger als noch zehn Jahre zuvor und sogar 31,5 Prozent weniger als 1985.

Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist in den vergangenen zehn Jahren ebenfalls fast kontinuierlich zurückgegangen: 2021 hatten 466 200 Menschen einen Ausbildungsvertrag neu abgeschlossen. Das waren 16,9 Prozent weniger als vor zehn Jahren (2011: 561 100 Neuverträge). Dies lässt sich nur teilweise mit dem Rückgang der Zahl junger Menschen zwischen 15 und 24 Jahren erklären, die im selben Zeitraum lediglich um sechs Prozent sank.

Der Strukturwandel hat über die Jahrzehnte nicht nur zu einem Rückgang der beruflichen Ausbildung geführt, auch die Verteilung der Auszubildenden auf die verschiedenen Berufe hat sich erheblich verändert. Während 1950 bei den männlichen Auszubildenden die angehenden Maurer, Tischler und Maler dominierten, stehen heute die künftigen Kraftfahrzeugmechatroniker, Fachinformatiker und Anlagenmechaniker/in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik an vorderster Stelle. Bei den weiblichen Auszubildenden haben sich die früher am stärksten besetzen Ausbildungsberufe von der Einzelhandelskaufrau, der Damenschneiderin und der Industriekauffrau weiter in den Dienstleistungsbereich (z.B. Kauffrau für Büromanagement, medizinische Fachangestellte und zahnmedizinische Fachangestellte) verlagert.

Quote der Studienberechtigten von 6,1 Prozent im Jahr 1960 auf 46,8 Prozent im Jahr 2020 gestiegen

Die steigende Bedeutung akademischer Bildung wird auch am wachsenden Anteil der Abiturientinnen und Abiturienten sichtbar. Verfügten im Jahr 1960 etwa 6,1 Prozent der 19- bis 21-Jährigen über die Hochschulreife, lag die Studienberechtigtenquote 2020 bei 46,8 Prozent. Durch die Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang an Gymnasien in Niedersachsen im Schuljahr 2019/2020 und dem damit unvollständigen Abiturjahrgang gab es im Jahr 2020 jedoch ausnahmsweise weniger Studienberechtigte als in den Vorjahren.

Anteil der Schüler auf Gymnasien von 24,6 Prozent im Jahr 1960 auf 44,0 Prozent im Jahr 2021 gestiegen

Ein erklärtes Ziel der Bildungspolitik war es, die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen. Dafür wurde das traditionelle dreigliedrige Schulsystem um neue Schularten wie Gesamtschulen und andere Schularten mit mehreren Bildungsgängen erweitert, was sich in einer deutlich veränderten Schullandschaft niederschlägt. Während 1960 noch 24,6 Prozent der Schüler und Schülerinnen im Sekundarbereich der allgemeinbildenden Schulen das Gymnasium besuchten, waren es 2021 bereits 44,0 Prozent. Gleichzeitig ist die Bedeutung der Hauptschule, die bis in die 1970er Jahre die wichtigste Schulform war, stetig zurückgegangen. Nahm sie 1960 noch knapp zwei Drittel (61,9 Prozent) aller Schüler und Schülerinnen in weiterführenden Schulen (Sekundarbereich I und II) auf, besuchten 2021 nur noch 6,4 Prozent der Schüler eine Hauptschule.

Höhere Schulabschlüsse zunehmend häufiger erworben

Noch deutlicher zeigen sich die Auswirkungen der Reformbemühungen um bessere Bildungschancen bei den erreichten Schulabschlüssen an allgemeinbildenden Schulen. 1970 verließ mit 18,9 Prozent noch fast ein Fünftel der Schüler und Schülerinnen die Schule ohne Hauptschulabschluss. 2021 lag dieser Anteil nur noch bei 6,2 Prozent. Auch der Anteil der Absolvierenden mit Hauptschulabschluss sank deutlich von 48,7 Prozent auf 15,9 Prozent. Dagegen wurden höhere Abschlüsse zunehmend häufiger erworben: 2021 erreichten 43,5 Prozent der Absolvierenden den mittleren Abschluss (früher Realschulabschluss) gegenüber 20,9 Prozent im Jahr 1970. Die allgemeine Hochschulreife bzw. die Fachhochschulreife erlangten im Jahr 2021 mit 34,4 Prozent der Absolvierenden ein dreimal so hoher Anteil wie im Jahr 1970 mit 11,5 Prozent.

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