Studie: Deutschland hat bei Klimawende vergleichsweise gute Ausgangsposition

Das Erreichen der Klimaziele wird weltweit Folgen für alle Staaten und Regionen haben – allerdings in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Die Ausgangsposition für Deutschland ist im internationalen Vergleich aber sehr viel besser als die anderer Länder. Der Umfang des wirtschaftlichen Wandels ist insgesamt erheblich. Bis 2050 ist weltweit mit Investitionsausgaben für Sachanlagen von rund 275 Billionen Dollar zu rechnen – etwa 9,2 Billionen Dollar pro Jahr. Die gute Nachricht: Nur 3,5 Billionen Dollar davon sind echte Zusatzinvestitionen. Bei den übrigen 5,7 Billionen Dollar handelt es sich um Ersatzinvestionen, wenn beispielsweise emissionsintensive Aktivitäten konsequent zurückgefahren und emissionsarme Aktivitäten entsprechend ausgeweitet werden. Auch am Arbeitsmarkt ist eine Umschichtung zu erwarten, wobei bis 2050 etwa 200 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze entstehen bzw neu hinzukommen und 185 Millionen durch den Netto-Null-Umstieg verloren gehen könnten. Unter dem Strich würden damit weltweit also mehr Arbeitsplätze entstehen, als verloren gehen.

Dies sind die zentralen Ergebnisse einer neuen Studie von McKinsey & Company mit dem Titel „The net-zero transition – What it would cost, what it could bring“. Die neue Studie bietet einen umfassenden Überblick über die globalen wirtschaftlichen Veränderungen und gesellschaftlichen Anpassungen, die erforderlich sind, um weltweit bis 2050 Netto-Null-Emissionen bzw. das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Analysiert wurde die Entwicklung in 69 Ländern (darunter auch Deutschland), die rund 85 Prozent der Gesamtemissionen weltweit verursachen.

Schwieriger Übergang für Entwicklungsländer und Rohstoffexporteure

„Im internationalen Vergleich sind Europa und insbesondere Deutschland bei der Klimawende viel besser aufgestellt als andere Regionen“, erläutert McKinsey-Partner Hauke Engel die Studienergebnisse. „Am schwierigsten wird der Übergang für Entwicklungsländer und Staaten, die sehr landwirtschaftlich orientiert sind oder vor allem fossile Rohstoffe exportieren.“ Deutschland hingegen zähle zu den wohlhabenden Staaten, die vor allem Sachgüter exportieren und eine starke Dienstleistungsbranche haben. Auch in puncto Energieeffizienz und auf Grund der Qualität und Resilienz seiner Infrastruktur sei Deutschland bereits gut aufgestellt. Zudem sei man durch die Lage in Mitteleuropa absehbar auch vergleichsweise weniger stark von Wetter- und Klimaextremen wie Wassermangel, Überflutungen oder Wirbelstürmen betroffen als andere Regionen.

Die nächsten zehn Jahre sind der Studie zufolge ökonomisch für die Klimawende entscheidend, denn die wichtigsten Investitionen sind in diesem Zeitraum zu tätigen. Die für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels notwendigen Ausgaben für „grüne“ Sachanlagen würden weltweit von heute 6,8 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf bis zu 8,8 Prozent zwischen 2026 und 2030 steigen, bevor sie von diesem Höchststand wieder zurückgehen. Auch die Verbraucher könnten bei der Umstellung auf emissionsarme Produkte wie Elektrofahrzeuge mit Vorlaufkosten konfrontiert werden. Längerfristig sei aber auch für sie mit sinkenden Kosten zu rechnen.

Die Studie illustriert die unterschiedlichen Ausgangspositionen der untersuchten Länder beim Erreichen der Klimaneutralität. Der Übergang wird sich sehr ungleichmäßig auf die einzelnen Volkswirtschaften und Regionen auswirken: Am stärksten betroffen sind Länder mit niedrigerem Einkommen und solche mit großen fossilen Brennstoffressourcen. Dazu zählen bevölkerungsreiche Länder wie Indien, Indonesien, Bangladesch und China, aber auch Russland oder die Länder des mittleren Ostens – Katar, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate.

Wirtschaftlich betrachtet sind am stärksten vor allem Sektoren mit emissionsintensiven Produkten oder Tätigkeiten betroffen. Diese machen derzeit etwa 20 Prozent des weltweiten BIP aus. Weitere 10 Prozent des BIP entfallen auf Sektoren, deren Lieferketten hohe Emissionen aufweisen, wie etwa das Baugewerbe. Haushalte mit niedrigem Einkommen sind der Studie zufolge überall am stärksten von den kurzfristig steigenden Strompreisen und den Investitionskosten betroffen, die sie für emissionsarme Produkte wie neue Heizungen oder Elektroautos aufbringen müssen. Langfristig könnten die Energiekosten unter das heutige Niveau fallen, weil die Betriebskosten der erneuerbaren Energien niedriger sind – vorausgesetzt, die Stromerzeuger bauen flexible, zuverlässige und kostengünstige Netze.

Wachstumschancen und dauerhafte Vorteile

„Ein geordneter Übergang zur Klimaneutralität bietet Wachstumschancen und dauerhafte Vorteile. Dazu gehören ein langfristiger Rückgang der Energiekosten und bessere gesundheitliche Rahmenbedingungen für große Bevölkerungsteile“, stellt McKinsey-Partner Hauke Engel fest. Wachstumsbereiche könnten zudem effizientere Betriebsabläufe durch Dekarbonisierung und die Schaffung neuer Märkte für emissionsarme Güter sein, insbesondere in Deutschland. Trotz der absehbar hohen, notwendigen wirtschaftlichen Investitionen und sozialen Herausforderungen des Übergangs zur Klimaneutralität sei ein ‚Weiter-so‘ keine ernsthafte Option. Denn die Kosten und Verwerfungen, die entstehen, wenn der Übergang zu Netto-Null-Emissionen nicht oder in ungeordneter Form vollzogen wird, wären wahrscheinlich weitaus größer und würden außerdem ein signifikant erhöhtes Risiko beinhalten, Klimaextremen ausgeliefert zu sein.

Die McKinsey-Studie kommt zu dem Schluss, dass Regierungen und Wirtschaft zum Erreichen der Klimaziele enger kooperieren und Planungs- und Investitionshorizonte verlängert werden sollten. Maßnahmen einzelner Unternehmen und Regierungen sowie eine koordinierte Unterstützung für schwächere Sektoren, Länder und Gemeinden könnten die erforderlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anpassungen erleichtern. 

Gleichzeitig seien Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um Risiken zu bewältigen und Chancen zu nutzen:

  • Unternehmen sollten Dekarbonisierungspläne für Scope-1- und Scope-2-Emissionen definieren, durchführen und weiterentwickeln und möglicherweise diese Pläne auf Emissionen des Bereichs 3 ausdehnen, je nach Art ihrer Tätigkeit.
  • Auch Finanzinstitute müssten eine zentrale Rolle bei der Unterstützung einer groß angelegten Kapitalumschichtung spielen.
  • Regierungen und multilaterale Institutionen könnten bestehende und neue politische, Regulierungs- und Steuerinstrumente nutzen, um Anreize zu schaffen, gefährdete Akteure zu unterstützen und kollektives Handeln zu fördern. Das Tempo und Umfang des Übergangs bedeuten, dass viele der heutigen Institutionen weiterentwickelt und neue geschaffen werden müssen, um Best Practices zu verbreiten, Standards und Nachverfolgungsmechanismen einzuführen, den Kapitaleinsatz in großem Umfang voranzutreiben, ungleiche Auswirkungen zu bewältigen und weitere kollektive Maßnahmen zu unterstützen.

Die für die Klimawende in Deutschland benötigten Sachinvestitionen bis 2045 hatte McKinsey zuletzt schon in der Studie „Net-Zero Deutschland“ berechnet. Sie setzen sich zusammen aus 1 Billion Euro Zusatzinvestitionen in „grüne“ Sachgüter, z.B. in neue Anlagen, Fahrzeuge und Wärmetechnik. Hinzu kommen rund 5 Billionen Euro Ersatzinvestitionen. Dabei handelt es sich um Investitionen, die für den Ersatz bzw. die Instandhaltung bereits bestehender Infrastruktur, Anlagen und Gebäude ohnehin aufgewendet werden. „Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, sind diese 5 Billionen Euro zum Zeitpunkt der turnusmäßigen Erneuerung in grüne oder klimaschonendere Güter zu investieren, z.B. in ein Elektrofahrzeug statt in ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor“, erläutert Senior Partner Stefan Helmcke, Co-Autor von „Net-Zero Deutschland“ die Berechnungen. Die Gesamtinvestitionen in Höhe von 6 Billionen Euro entsprechen demnach durchschnittlichen jährlichen Investitionen von rund 240 Milliarden Euro bis 2045 und damit ca. 7% des Bruttoinlandsprodukts – davon sind 40 Milliarden Euro pro Jahr zusätzliche Investitionen (ca. 1% des BIP).

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