Elektromobilität zwingt Verteilnetze in die Knie

Beim Thema Energiewende werden zentrale Ziele weiterhin verfehlt: Die Kosten für Netzeingriffe haben mit 1,45 Milliarden Euro in 2017 ein Rekordhoch erreicht, der Ausbau der Transportnetze stockt – aktuell sind erst 912 der bis 2020 geplanten 3.582 Kilometer fertig gestellt. Zuletzt kamen bis März diesen Jahres innerhalb von sechs Monaten nur 33 Kilometer hinzu. Außerdem ist absehbar, dass der Trend zur Elektromobilität für die Verteilnetze auf lokaler Ebene zu Engpässen führen kann. Dies sind wesentliche Erkenntnisse aus dem neuen Stand des Energiewende-Index, den die Unternehmensberatung McKinsey & Company seit 2012 halbjährlich veröffentlicht. Der aktuelle Index wurde diesmal um eine Sonderanalyse ergänzt, die die Auswirkungen der Elektromobilität auf das deutsche Energiesystem untersucht hat.

Elektromobilität wird zur großen Herausforderung für lokale Verteilnetze

In der Sonderanalyse ist McKinsey der Frage nachgegangen, wie gut das deutsche bestehende Energiesystem auf den zu erwartenden Boom der Elektromobilität vorbereitet ist. Die Antwort: Während die gesamte Stromnachfrage durch die Elektromobilität nicht fundamental steigt, kann die wachsende Zahl an Elektrofahrzeugen auf lokaler Ebene schnell zu großen Herausforderungen in einzelnen Verteilnetzen führen.

Die Jahresspitzenlast in Deutschland steigt der McKinsey-Analyse zufolge durch den zusätzlichen Strom, den Elektromobile verbrauchen, bis 2030 selbst bei starkem Ausbau nur um wenige Prozentpunkte. Anders sieht es in den lokalen Verteilnetzen aus. Dort kann eine steigende Anzahl an Elektroautos zu massiven Engpässen führen. "Die unkoordinierte Lastwirkung von E-Autos wird sich erwartungsgemäß auf jene Abendstunden konzentrieren, in denen die lokale Verteilnetzzelle mit ihren beispielhaft angenommenen 150 angeschlossenen Haushalten heute ohnehin schon ihre Spitzenlast hat", stellt Hauke Engel, Associate Partner bei McKinsey, fest. Schon ein Anteil von 25 Prozent E-Fahrzeugen mit typischem Strommix und Ladeleistungen zwischen 1,7 kW und 11 kW könnten zu einem Anstieg der Spitzenlast in der lokalen Verteilnetzzelle um 30 Prozent führen. Die typische Ladezeit betrage hierbei etwa fünf Stunden, abhängig vom Nutzerverhalten. Die Verwendung von Schnellladestationen (die allerdings in Privathaushalten nicht zu erwarten sind) würde diese lokale Spitzenlast weiter erhöhen, wenngleich sich durch die kürzeren Ladezeiten neue Optimierungs- und Koordinationsmöglichkeiten ergeben, weil eine volle Batterieladung nicht mehr die gesamte Nacht dauert. 

Hauke Engel: "In jedem Fall bleibt unter dem Strich eine nicht unerhebliche Mehrlast, die auch Photovoltaik-Anlagen in den sonnenärmeren Spitzenlaststunden am späten Nachmittag und frühen Abend nicht abfedern können." Viele Verteilnetzzellen seien auf diese Zusatzbelastung heute nicht vorbereitet und ein entsprechender Ausbau wäre aufwendig und teuer. Analysen ergeben einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag in den kommenden fünf bis zehn Jahren.

Eine Überlastung der Verteilnetze kann Engel zufolge durch Änderung des Ladeverhaltens (z.B. koordiniertes, sequenzielles Laden über die gesamte Nacht) reduziert oder sogar ganz vermieden werden. Zu erwarten sei dadurch eine Minderung der zusätzlichen Spitzenlast um den Faktor fünf bis sieben. Noch fehlten für eine solche Koordination geeignete Markt- und Anreizmechanismen. Auch die Umstellung der Stromabrechnung in Haushalten von Arbeitspreisen (kWh) auf Leistungspreise (kW) sei bislang noch nicht weit fortgeschritten. Entsprechende Anpassungen könnten langfristig helfen, die Ladevorgänge von Elektroautos nicht nur zu bewältigen, sondern sie sogar positiv für das erneuerbare Stromsystem nutzbar machen und so dazu beitragen, auf stationäre Speicher an anderer Stelle zu verzichten.

Kaum Auswirkungen auf Stromverbrauch durch Elektromobilität

Der Stromverbrauch verändert sich der Analyse zufolge durch die Zunahme an Elektrofahrzeugen – anders als vielleicht erwartet – nur geringfügig. In nahezu allen Verbreitungsszenarien bleibt die zusätzliche Stromnachfrage im kommenden Jahrzehnt vernachlässigbar. Hauke Engel erläutert die Rechnung dazu: Eine Million Elektroautos haben einen Bedarf von zwei bis drei TWh pro Jahr. Dies entspricht knapp 0,5 Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs. Selbst ein Anteil von 40 Prozent E-Autos am deutschen Gesamtfuhrpark, der erst in Jahrzehnten erwartet wird, wird die Stromnachfrage nur um ca. 40 TWh oder weniger als zehn Prozent erhöhen.

"In der Diskussion um die boomende Elektromobilität wird sich zu sehr auf das Thema Übertragung konzentriert, während der Aspekt Verteilung aber immer mehr an Bedeutung gewinnt", stellt McKinsey-Seniorpartner Vahlenkamp fest. Sein Fazit: "Die Auswirkung der Elektromobilität auf das deutsche Energiesystem sind im Großen klein, aber im Kleinen groß. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf."
Quelle: McKinsey

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