100 Tage Merz: Ernüchterung oder Hoffungsträger?

“Mitte August ist die neue Bundesregierung 100 Tage im Amt. Die ersten Monate waren herausfordernd, mitunter auch schwierig. Wichtige erste Schritte sind jedoch gelungen. Gemeinsam hat die Koalition aus CDU, CSU und SPD den Politikwechsel eingeleitet. Viel Arbeit wartet noch”, so lautet die offizielle Pressemitteilung auf der CDU-Website. Einen Passus heben wir besonders hervor:

“Die Wirtschaftswende ist eingeleitet.

Die deutsche Wirtschaft braucht frischen Schub, um weltweit weiter vorne dabei zu sein. Die Bundesregierung unter Friedrich Merz setzt hier einen besonderen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Denn neue Maschinen und Ausstattung sind notwendig, um im Wettbewerb um die besten Produkte mithalten zu können. Doch sie kosten Unternehmen und Betriebe viel Geld. Hohe Belastungen stehen oftmals neuen Investitionen im Weg. Wir wollen entlasten und haben deshalb die größte Unternehmenssteuerreform seit gut 20 Jahren auf den Weg gebracht.

„Unsere erste Priorität liegt darin, unsere Volkswirtschaft aus der Rezession herauszuholen. Wir haben die Wende eingeleitet und die notwendigen Wachstumsimpulse gesetzt. … Wir beobachten jetzt schon, dass die Stimmung sich verbessert.“ Friedrich Merz.

Das Investitions-Sofortprogramm setzt starke Wachstumsimpulse. Mit besseren Abschreibungen machen wir Investitionen ab sofort attraktiver und senken schrittweise ab 2028 die Steuerlast für Unternehmen. Das gibt den Unternehmen notwendigen finanziellen Freiraum.”

Und was sagt die Branche dazu?

BGA-Präsident Dr. Dirk Jandura betont:

„Meine Bilanz zur Arbeit der Bundesregierung fällt durchwachsen aus. Der Kanzler hat die Probleme Deutschlands erkannt. Es ist erfreulich, dass die neue Regierung sofort mit der Umsetzung dringlichen Handlungsbedarfs begonnen hat. Außen- und europapolitisch ist die Bundesregierung wieder inhaltlich präsent. Innenpolitisch wird – wie die Beispiele Bau-Turbo und Mietpreisbremse zeigen – gleichzeitig Gas gegeben und auf die Bremse getreten. Ein Verständnis für marktwirtschaftliche Zusammenhänge scheint an manchen Stellen nicht ausreichend vorhanden zu sein. Spürbare Entbürokratisierung und Vereinfachungen lassen auf sich warten. Stattdessen ist zu befürchten, dass sich die Regierung zunehmend in rechts- und sozialpolitischen Diskussionen verzettelt. Wir brauchen jetzt Mut zur Wahrheit und Mut zu Reformen. Wir müssen nach Jahrzehnten des wirtschaftspolitischen Irrwegs endlich wieder zu einer angebotsorientierten Politik zurück. Wir brauchen einen Herbst des Handelns“, fordert Dr. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), in seiner Bewertung zu den ersten 100 Tagen nach Amtsantritt der neuen Bundesregierung am 14. August 2025.

„Die Weltlage ist anhaltend schwierig. Die Folgen der amerikanischen Zollpolitik belasten unsere Händler. Hier handelt der Bundeskanzler besonnen und energisch, das gibt uns Zuversicht. Aber man darf über die Außenpolitik den noch nicht gelösten Reformstau im Innern nicht vergessen. Wir können den hieraus resultierenden Herausforderungen deutlich selbstbewusster entgegentreten, wenn wir wirtschaftlich stark sind. Und dafür brauchen wir Wirtschaftswachstum, Unternehmensinvestitionen und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, so der Großhändler.

„Wenn wir über den Standort Deutschland sprechen, müssen wir auf die Kosten schauen. Wir sind momentan schlichtweg zu teuer und nicht wettbewerbsfähig – nicht einmal mehr in Europa. Die Steuersätze werden erst ab 2028 auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau sinken. Und in den Sozialversicherungen laufen die Kosten aus dem Ruder. Ich kann nicht erkennen, dass in der Bundesregierung wirklich an der Wurzel des Problems angesetzt wird. In der Besteuerung sind angemahnte strukturelle Reformen überfällig. Und auch bei Arbeitszeit und Rente müssen endlich erforderliche, wenn auch unbequeme Entscheidungen gefällt werden. Wir können uns nicht weiter so bequem zurücklehnen und Problemlösungen schuldenfinanziert in die Zukunft verschieben. Jeder kann sparen, private Haushalte müssen dies tun, der Staat offenbar nicht. Wenn wir eine so hohe Verschuldung mittragen sollen, dann erwarte ich auch echte Kürzungen auf der Ausgabenseite“, so Jandura weiter.

BGA-Präsident Jandura abschließend: „Ich erwarte vom Kanzler und seinen Ministern noch in diesem Jahr eine klare Vision für ein Deutschland in 2035. Wie schaffen wir es, ein modernes, effizientes, digitales Deutschland zu werden, in dem wir alle gerne leben und arbeiten? Das Potenzial haben wir – legen wir los!“

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH):

“Die neue Bundesregierung und Kanzler Friedrich Merz sind mit einem echten Vertrauensvorschuss des Handwerks ins Amt gestartet. Doch dieser ist bislang nicht zurückgezahlt worden. Statt Aufbruchsstimmung herrscht im Handwerk 100 Tage nach dem Regierungsstart von Schwarz-Rot Ernüchterung und nicht selten auch Frust. Zentrale Versprechen wie die Senkung der Stromsteuer für alle hat die neue schwarz-rote Koalition nicht eingehalten. Das lässt Zweifel an der Verlässlichkeit weiterer Koalitionsvereinbarungen aufkommen. Auch die angekündigte Kommission zur Zukunft der Sozialsysteme wirkt wenig glaubwürdig, wenn gleichzeitig Rentenbeschlüsse getroffen werden, die jede generationengerechte Reform vermissen lassen und die das System wie auch die Betriebe und Beschäftigten noch stärker belasten. Diese Rentenbeschlüsse signalisieren alles andere als Reformbereitschaft. Das führt zum Vertrauensschwund.

Positiv ist, dass die Bundesregierung mit dem Investitionssofortprogramm ein wichtiges wirtschaftspolitisches Signal direkt zu Beginn der Legislatur gesetzt hat. Die umfangreichen Abschreibungsmöglichkeiten genauso wie die verbesserte Thesaurierungsregel für Personenunternehmen entlasten Betriebe und stärken die Investitionskraft im Handwerk. Hervorzuheben sind auch die Vorhaben zur Planungs- und Vergabebeschleunigung. Hier konnten Kompromisslösungen erzielt werden, die faire Wettbewerbsbedingungen sichern und eine breite Beteiligung mittelständischer Betriebe ermöglichen. 

Insgesamt jedoch vermisst das Handwerk eine klare Handschrift der neuen Regierung zugunsten des Mittelstands. Entscheidungen erscheinen bislang zu sehr auf die Interessen industrieller Großstrukturen zugeschnitten. Das Handwerk erwartet klare Prioritäten für die Mitte der Wirtschaft, zu der das Handwerk gehört. Schnell umsetzbare und wirksame Maßnahmen wie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten oder die Abschaffung der Bonpflicht hätten bereits längst angestoßen werden können, um Bürokratiekosten sofort zu senken und wichtige Aufbruchssignale zu senden. Bislang ist das ausgeblieben.

Die Bundesregierung muss deshalb zügig und kraftvoll nachlegen: Die Bürokratie spürbar reduzieren, die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung gesetzlich verankern und bei der Reform der Sozialsysteme endlich handeln. Es braucht dringend notwendige Impulse für die duale Ausbildung und die Modernisierung der handwerklichen Bildungsstätten. Und bei der Reform der Sozialsysteme braucht es mehr als eine Kommission, hier geht es um zukünftige Finanzierbarkeit, um Zukunftsfestigkeit, um Generationengerechtigkeit, und da lässt die aktuelle Rentenpolitik das Gegenteil befürchten. 

Das Handwerk steht bereit, seinen Beitrag zur Modernisierung des Landes zu leisten. Dafür nötig sind jedoch am Mittelstand orientierte Rahmenbedingungen und die entschlossene Umsetzung dessen, was die neue Regierung sich selbst ins Koalitionsbuch geschrieben hat.”

Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer des BVMW (Bundesverband mittelständische Wirtschaft), erklärt dazu:

„Die neue Regierung ist mit dem richtigen Anspruch gestartet, doch nun muss sie den nächsten Gang einlegen. Nach 100 Tagen schwindet die anfängliche Aufbruchsstimmung bereits wieder. Ankündigungen müssen endlich Umsetzungen folgen. Der Mittelstand braucht keine Absichtserklärungen mehr, sondern entschlossenes Handeln und konkrete Strukturreformen. Der Herbst muss endlich die versprochene Wirtschaftswende bringen. Den Leistungsträgern in diesem Land geht die Puste aus und die Geduld mit dieser Bundesregierung zu Ende.“

Der BVMW hat zu verschiedenen Themen eine Analyse veröffentlicht, diese finden Sie hier.

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