„Wir müssen Nachhaltigkeit auch verkauft bekommen“

Wo die Herausforderungen beim Vertrieb nachhaltiger Leuchten liegen, wollten wir von Jonathan Pracht wissen, seit 2019 Geschäftsführer des Familienunternehmens Pracht, das aktuell rund 160 Mitarbeiter beschäftigt und nach eigenen Aussagen 100 Prozent seines Deutschlandgeschäfts mit dem dreistufigen Vertriebsweg macht.

ElektroWirtschaft: Pracht wurde im November 2020 vom Land Hessen mit dem Innovations- und Wachstumspreis „Hessen- Champions“ für herausragende Leistungen in der Kategorie „Innovation“ ausgezeichnet. Womit haben Sie die Jury überzeugt?

Jonathan Pracht: Wir sind stolz darauf, dass wir für unsere Katla Remade – die erste Industrieleuchte aus 100 Prozent Altplastik – geehrt wurden. Eine hochrangig besetzte Jury aus Wirtschaft, Politik und Medien hat die Gewinner ausgewählt.

ElektroWirtschaft: Kämpfen Sie bei nachhaltigen Produkten mit Vorurteilen im Markt – beispielsweise der Idee, dass ein Recycling-Produkt minderwertig ist?

Jonathan Pracht: Zuerst haben wir gegen die Vorurteile gekämpft, dass es gar nicht geht, technische Kunststoffe bei gleichbleibender lupenreiner Qualität zu recyceln oder dass das zu aufwändig und nicht rentabel wäre. Mit unserem Konzept „Remade in Germany“ haben wir es als weltweit erstes Unternehmen im Bereich Industrieleuchten geschafft. Wir konnten diese sehr komplexe Aufgabe lösen, weil wir eine eigene Kunststofffertigung und spezielles Know-how haben. Jetzt muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit Elektroinstallateure und Endanwender verstehen, dass bei unseren Leuchten Reciclat-Anteile im Kunststoff keinerlei Qualitätseinbußen bedeuten. Dafür stehen wir mit unserem guten Namen.

ElektroWirtschaft: Genügt Ihr Qualitätsversprechen als Hersteller, um diese Produkte wirtschaftlich erfolgreich zu machen? Sind die Katla Remade teurer? Wie verkaufen sie sich?

Jonathan Pracht: Um den Absatz zu fördern, bieten wir die Katla Remade kostenneutral im Vergleich zur Standardausführung Katla LED an. Außerdem haben wir dem Handel ein ganzes Informationspaket zur Verfügung gestellt – mit vielen Mustern, Flyern und Flip-Ups etc. In unseren Gesprächen mit den Partnern im Elektrogroßenhandel haben wir viel Begeisterung für das Thema Nachhaltigkeit gespürt. Aber unter dem Strich merken wir, dass das nicht reicht! In einem Fall haben wir sogar Ware zurück bekommen, weil sie nicht verkauft wurde. Deshalb sehe ich es als gemeinsame Aufgabe aller Partner im dreistufigen Vertrieb an, Nachhaltigkeit nicht nur als Trendthema zu erkennen, sondern auch verkauft zu bekommen.

ElektroWirtschaft: Was ist aus Ihrer Perspektive nötig, damit Nachhaltigkeit sich stärker durchsetzt?

Jonathan Pracht: Zuerst will ich betonen, dass meine klaren Worte kein Vorwurf sein sollen. Natürlich hat das Handwerk besonders jetzt in der Corona-Pandemie andere große Herausforderungen zu bewältigen. Wir müssen auch realistisch sehen, dass es vielen Endanwendern noch egal ist, welche Leuchte unter ihrer Decke hängt. Aber auch deshalb, weil sie es nicht besser wissen. Die Kommunikationskette bis zum Entscheider funktioniert einfach noch nicht. Unsere Botschaft, dass eine nachhaltigere Lösung keine Mehrkosten bedeutet, kommt oft nicht an. Wobei unsere Leuchten aus deutscher Produktion natürlich preislich über zum Teil quersubventionierten Produkten aus Fernost liegen. Auch bei manchen Installateuren müssen wir sicher noch Überzeugungsarbeit leisten, dass das „Öko-Zeug“ wirklich etwas taugt. Ich hoffe, dass es uns indirekt auch hilft, dass große Endverbraucher-Marken Zeichen setzen: dass Adidas Schuhe aus Müll herstellt und Frosch Flaschen für Reinigungsmittel aus Plastik aus den Meeren. Im B2B-Geschäft braucht das Thema einfach länger. Aber wir bleiben dran! Für Pracht ist Nachhaltigkeit eine Selbstverständlichkeit.

ElektroWirtschaft: Welche Zeichen setzen Sie bei Pracht für Nachhaltigkeit?

Jonathan Pracht: Weil wir zuversichtlich bleiben und daran glauben, dass das Thema in der Lieferkette besser kommuniziert werden kann, werden wir spätestens Mitte dieses Jahres weitere neue Produkte vorstellen, die zu 100 Prozent aus Reciclat bestehen – also aus „Altplastik“. Das sind hochwertige Kunststoffe, die teilweise durch Zugabe von Additiven von den Eigenschaften her besser sind als die direkt aus Rohöl hergestellten – was mechanische und chemische Belastbarkeit betrifft. Wir bleiben auch dabei, dass wir für jede verkaufte Katla Remade Leuchte einen Baum pfl anzen – für die CO2- Reduktion und -Kompensation unserer eigenen Fertigung. Dafür sind wir eine Kooperation mit „Plant for the Planet“ auf internationaler Ebene eingegangen. Außerdem sind wir Mitglied im Zentrum für nachhaltigere Unternehmensentwicklung (ZNU). Wir befinden uns gerade im Umweltaudit. Unser Ziel ist eine CO2-neutrale Herstellung.

ElektroWirtschaft: Was wünschen Sie sich vom Elektrogroßhandel?

Jonathan Pracht: Dass eine intensivere Kommunikation über nachhaltige Produkte dafür sorgt, dass der Kunde eine Wahl hat. Dafür braucht es Manpower und die richtigen Kanäle. Außerdem wünsche ich mir, dass wir gemeinsam überlegen, wie wir die Wertschöpfungsketten so verändern können, dass wir zu einer echten Kreislaufwirtschaft kommen. Damit wir unsere Produkte am Ende der Lebensdauer zurück bekommen, muss der Handel bereit sein, über Mehrwegsysteme nachzudenken. Das sind Zukunftsthemen, die wir letztes Jahr auch mit den jungen Führungskräften des VEG diskutiert haben.

ElektroWirtschaft: Wie sehr sind Sie von der Corona-Pandemie betroffen? Wie blicken Sie in die Zukunft?

Jonathan Pracht: Auf unser Nachhaltigkeitsthema hat das keine Auswirkung. Beim Export spüren wir die Krise natürlich. Aber in Summe war 2020 ein Jahr, das wir nicht missen wollen. Wir sind dankbar dafür, weil wir als Organisation sehr viel lernen durften. Wir mussten keine Kurzarbeit anmelden und unser Außendienst hat im Innendienst mitgearbeitet – im Sinne unseres internen Mottos „stronger together“. Es war auch wirtschaftlich ein erfolgreiches Jahr: Alle unsere Segmente haben sich über dem Markt entwickelt. Deshalb haben wir für 2021 und 2022 sehr hohe und positive Erwartungen. Wir freuen uns auf die Light + Building 2022, auf der wir zusätzlich zum Licht auch mit unserem neuen Geschäftsfeld – nämlich Ladesäulen – präsent sein werden. Wir wollen den Weg zur Elektromobilität mitgestalten. Dabei profitieren wir von unseren Erfahrungen im Lichtmarkt, der uns gelehrt hat, schnell und agil zu sein. (In Heft 04 der ElektroWirtschaft wird dazu im Special Elektromobilität ein separates Interview erscheinen).

Das Gespräch führte Gudrun Arnold-Schoenen, Herausgeberin und Chefredakteurin der ElektroWirtschaft. Redaktion: Juliane Braun (freie Redakteurin)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus der März-Ausgabe der ElektroWirtschaft. Als Printabonnent haben Sie fünf Zugriffe auf die digitale Ausgabe inklusive. Das Licht-Special steht Ihnen digital kostenfrei zur Verfügung!

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