„Jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, tut der Umwelt gut“

Im Interview mit der ElektroWirtschaft sprechen Karlheinz Reitze, Geschäftsführer der PV+E-Systeme GmbH bei Viessmann Deutschland, Thomas Reiter, Geschäftsführer Etherma Elektrowärme GmbH, und Michael Jüdiges, Geschäftsführer Connectivity Solutions GmbH (wibutler), über die Auswirkungen der Corona-Krise, ihre Produktneuheiten 2020 und das zukunftsfähige Haus.

ElektroWirtschaft: Der Umgang mit dem Coronavirus bleibt allgegenwärtig. Welche Auswirkungen hat die Ausbreitung der Pandemie bei Ihnen?

Karlheinz Reitze: Für uns hatte natürlich die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Mitarbeiter oberste Priorität. Sehr früh haben wir in unseren Werken sämtliche notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Über 2000 Mitarbeiter sind ins Homeoffice gezogen. Hinsichtlich der Produktion sind wir dazu übergegangen, auch Beatmungsgeräte und Schutzmasken herzustellen. Dieser Schritt war der Familie Viessmann sehr wichtig.

Generell spüren wir Verschiebungen bei den Umsätzen im Bereich der Endkunden. Das hat insbesondere mit einer allgemeinen Unsicherheit bezüglich der aktuellen Situation zu tun. Auch im Projektbereich gab es einige Verschiebungen.

Thomas Reiter: Bei uns sind die Auswirkungen länderspezifisch unterschiedlich. In Deutschland und den BENELUX-Ländern ist die Entwicklung positiv. Hier sind wir besser als im Vorjahr aufgestellt. Dennoch spüren wir auch hier eine gewisse Unsicherheit bei der Auftragsvergabe und es kommt zu Verschiebungen. In Österreich war der Lockdown deutlich stärker. Die Baustellen waren für vier Wochen komplett gesperrt. Hier mussten wir größere Umsatzeinbrüche verzeichnen. Ein positiver Einfluss der Krise ist, dass die Digitalisierung im Unternehmen stark vorangetrieben wurde. Das Thema Homeoffice hat sich sehr gut bewährt. Wir überlegen, dies auch für einige Mitarbeiter beizubehalten. Man sieht inzwischen, dass persönliche Termine auch per Video-Telefonie funktionieren und es so zu einer spürbar geringeren Reisetätigkeit kommt. Die Krise hat uns insgesamt sehr geeint und alle ziehen an einem Strang.

Michael Jüdiges: Auch bei uns stand natürlich die Gesundheit der Mitarbeiter an vorderster Stelle. Wir sind alle schon sehr früh ins Homeoffice gezogen. Das war für uns ein recht einfacher Schritt, weil die Digitalisierung zu unserer Firmen-DNA zählt. In Deutschland, unserem Kernmarkt, gab es keine nennenswerten Umsatzeinbrüche. Aber auch wir haben eine gewisse Unsicherheit gespürt – vor allem im Bereich der Neukunden-Akquise. Entscheidungen für Projekte und Partnerschaften haben sich hinausgezögert. Die Branche ist aber insgesamt sehr verlässlich und loyal, so dass wir unsere bestehenden Projekte auch fortführen oder beenden konnten. Alle halten zusammen, was eine schöne Erkenntnis ist.

ElektroWirtschaft: In diesem Zusammenhang wurde nun auch endgültig die Light + Building für dieses Jahr abgesagt. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung?

Karlheinz Reitze: Die Entscheidung ist absolut richtig. Durch die Reisebeschränkungen war ein normaler Ablauf einer international bedeutenden Leitmesse nicht mehr gegeben. Die Auflagen der Messe für die Aussteller wären zu hoch gewesen. Wir werden eine starke Light + Building 2022 erleben.

Thomas Reiter: Messen sind ideale Plattformen, um neue Produkte zu präsentieren. Aber die Bedeutung wird möglicherweise bei dem ein oder anderen hinterfragt werden, wenn sich die Umsätze auch in einem Jahr ohne Messen einigermaßen stabil zeigen.

Michael Jüdiges: Die Wahrnehmung der Produkte durch eine physische Präsenz auf einer Messe ist eine andere als auf virtueller Basis. Dennoch haben wir festgestellt, dass unsere Webinare in dieser Krise einen sehr positiven Zulauf erhalten.

ElektroWirtschaft: Welche neuen Produkte und Lösungen stehen bei Ihnen im Fokus?

Thomas Reiter: In diesem Jahr konzentrieren wir uns sehr auf das Thema Infrarotheizung. Hier haben wir neue Produkte und neue Designs auf den Markt gebracht. Wir präsentieren unter anderem runde, sehr designorientierte Infrarotheizungen. Für die Gastronomie präsentieren wir einen neuen, leistungsstarken Terrassenstrahler. Auch im Bereich der Thermostate haben wir unser Produktportfolio ausgeweitet. Sehr wahrscheinlich werden wir noch in diesem Jahr ein Thermostat präsentieren, dass mit wibutler kommuniziert.

Karlheinz Reitze: Wir haben uns darauf konzentriert, unser Lösungsangebot „alles aus einer Hand“ in den Bereichen Stromerzeugung, Stromspeicherung, Energiemanagement und Energieeffizientes Heizen zu erweitern. Für die GridBox, unser Visualisierungs- und Steuerungstool, haben wir zahlreiche Funktionen erweitert. Hier haben wir nun auch die Infrarotheizung integriert. Interessant ist unser neues modulares Stromspeicher-System Vitocharge. Es optimiert den Stromverbrauch und macht nahezu unabhängig vom öffentlichen Stromnetz.

Michael Jüdiges: Ungeachtet der Messe-Intervalle haben wir bei wibutler eine hohe Update-Frequenz. Alle zwei Monate präsentieren wir ein neues Update für unser Betriebssystem. Dieses Jahr werden wir mit Etherma das Segment der Elektroheizung besetzen. Das ist für uns etwas Besonderes. Darüber hinaus präsentieren wir zahlreiche funktionale Verbesserungen, wie zum Beispiel einen universal einsetzbaren Bewegungsmelder von Eltako. Zusammen mit Viessmann und Maico werden wir die wichtige Domäne der dezentralen Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung besetzen.

ElektroWirtschaft: Durch die Coronakrise sind Themen wie die Energiewende oder die Digitalisierung etwas in den Hintergrund geraten. Welche Ziele sind für Sie trotz der besonderen Lage von besonderer Bedeutung?

Karlheinz Reitze: Das Thema Klimawandel ist noch längst nicht beendet und die Problematiken sind nicht gestoppt. Es ist auch in Zeiten von Corona wichtig, den Green Deal in Europa fortzuführen. Themen wie C02-Neutralität und Nachhaltigkeit bleiben von höchster Bedeutung. Und hier erwarten wir auch von der Politik die richtigen Signale. Wichtig ist vor allem die Reduzierung des Strompreises, um die Endkunden zu entlasten.

Michael Jüdiges: Die Corona-Zeit kann möglicherweise die Energiewende sogar beflügeln, weil aus meiner Sicht die Digitalisierung und das Thema Energieeffizienz Hand in Hand gehen. Wir bemerken eindeutig eine höhere Sensibilisierung für die Umwelt – sie ist vielleicht auch einer der wenigen Gewinner in dieser Zeit.

ElektroWirtschaft: Viel ist im Wandel, auch in der Politik. Welche Erwartungen haben Sie an die Energiepolitik in Deutschland?

Karlheinz Reitze: Wir erwarten, dass die eingeleiteten Klimamaßnahmen fortgeführt werden. Außerdem erwarten wir eine noch größere Unterstützung bezüglich der Energieeffizienzmaßnahmen – besonders hinsichtlich der Förderungsangebote. Wenn es darum geht, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, sollte man dies auch mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien verbinden. Hier gilt es klare Signale zu setzen. Jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, tut der Umwelt gut.

Thomas Reiter: Man sieht in der Corona-Phase, dass die Politik auch sehr mutig sein kann. Es wurde vor allem sehr schnell sehr viel Geld in die Hand genommen. Den gleichen Mut sollte man auch bei der Energiewende aufbringen.

ElektroWirtschaft: Welche Rolle spielt das elektrische Heizen als Baustein des Erfolgs der Energiewende?

Thomas Reiter: Unser Unternehmen wurde vor über 40 Jahren genau aus diesem Grund gegründet. Mein Vater war schon immer ein Verfechter von sauberem Strom. Die Essenz unseres Unternehmens ist es, Gebäude nachhaltig und CO2-frei zu beheizen. Der Faktor Emissionsfreiheit spielt für uns eine tragende Rolle. Technisch lässt sich das Thema mittlerweile lösen. Die Elektroheizung kann einen großen Teil für die Stabilisierung der Stromnetze leisten. Sie ist schnell, komfortabel und leistbar. Ich bin davon überzeugt, dass sie ein Baustein der Energiewende sein wird.

ElektroWirtschaft: In welchen Fällen ist Heizen mit Strom besonders vorteilhaft?

Thomas Reiter: Wir positionieren das Thema im gut isolierten Neubau – in Verbindung mit einem PV-System. Ein Energiemanagement-System sorgt dafür, dass der selbstproduzierte Strom im Haus auch verwendet wird. Für den Kunden hat diese Kombination einen hohen Komfort- und Effizienzgewinn. Leider hat die Elektroheizung noch kein positives Image, da sie häufig mit alten Nachtspeicher-Öfen in Verbindung gebracht wird. Dagegen versuchen wir kontinuierlich anzukämpfen und hier ist sehr viel Aufklärungsarbeit notwendig. Dieses Thema beschäftigt mich schon seit 41 Jahren.

Karlheinz Reitze: Einen wichtigen Impuls gibt auch das neue KfW-Programm, welches die Förderzuschüsse erhöht. Wir stellen mittlerweile fest, dass auch Mehrfamilienhäuser vermehrt mit Elektroheizungen ausgestattet werden. Nicht zu vergessen ist hier die Wärmepumpe, die ebenfalls ein idealer Baustein in Kombination mit einer PV-Anlage für die Energieerzeugung ist.

ElektroWirtschaft: Wie sehen Sie das Haus der Zukunft?

Thomas Reiter: Das Haus der Zukunft ist gut isoliert und besitzt eine PV-Anlage auf dem Dach. Für die Beheizung sorgt entweder eine elektrische Direktheizung oder eine Wärmepumpe. Außerdem besitzt es ein intelligentes Energiemanagement-System und eine kontrollierte Wohnraumlüftung. Im Idealfall ist es noch an eine Strom-Community angeschlossen, um gemeinsam einen Stromüberschuss tauschen zu können. All diese Bausteine sollten dann noch möglichst einfach bzw. automatisiert steuerbar sein.

Michael Jüdiges: Hier kommt dann die digitale Gebäudetechnik ins Spiel. Wir glauben, dass das Haus der Zukunft ein digitales Betriebssystem benötigt, um die Bedürfnisse an Komfort, Sicherheit und Energieeffizienz zu vernetzen. Mit wibutler führen wir Hausautomation und Gebäude-Energieregelung in einem digitalen Betriebssystem für Gebäude zusammen. Dies ist aus unserer Sicht sehr wichtig, um aus einer Produkteffizienz eine Systemeffizienz zu schaffen.

Karlheinz Reitze: Der Begriff „Haus der Zukunft“ hört sich noch so weit entfernt an. Ich benutze eher „das zukunftsfähige Haus“. Alles, was wir hier beschrieben haben, ist bereits lieferbar und gibt dem Endkunden bereits die Sicherheit für Zukunftsfähigkeit.

ElektroWirtschaft: Was ist das Besondere an wibutler? Wie viele Partner zählen zur Allianz?

Michael Jüdiges: Das Besondere bei wibutler ist die Herstellerunabhängigkeit. In der wibutler alliance sind zur Zeit 26 Partner verschiedener Branchen. Gemeinsam schaffen wir die Grundlage für das vernetzte Zuhause: Ein unabhängiges und ganzheitliches Hausautomationssystem. Wir haben für uns drei Wachstumsmärkte identifiziert:

1) Das Neubausegment mit Ein- und Zwei-Familienhäusern

2) Die energetische Sanierung von Ein- und Zwei-Familienhäusern

3) Die Wohnungswirtschaft in Verbindung mit der Quartiersentwicklung

ElektroWirtschaft: Ein Aspekt bleibt nach wie vor aktuell: Die Datensicherheit. Wie gehen Sie mit wibutler bei diesem Thema vor?

Michael Jüdiges: Das Thema Datensicherheit genießt bei uns höchste Priorität. Es gehört zu den Grundwerten der Menschen. Deshalb legen wir hierfür in unserer technologischen Entwicklung sehr hohe Maßstäbe an.

ElektroWirtschaft: Welche Schlagzeile wünschen Sie sich für dieses Jahr?

Karlheinz Reitze: Corona-Impfstoff ist verfügbar.

Thomas Reiter: Die Elektroheizung wird Standard im Gebäude.

Michael Jüdiges: wibutler wird der Branchenstandard in der digitalen Gebäudetechnik.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus der Juli-Ausgabe der ElektroWirtschaft.

Print Friendly, PDF & Email

Comments are closed.