„Wir brauchen im Wohngebäude einen Paradigmenwechsel“

Im Interview mit der ElektroWirtschaft spricht Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (GdW) über die Herausforderungen in der Gebäudesanierung, die dazugehörigen Energiewendeziele, und die Erwartungen an die Politik.

ElektroWirtschaft: Was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg einer flächendeckenden Bestandssanierung in Deutschland?

Ingeborg Esser: Die große Herausforderung ist es, den Klimaschutz im Gebäudesektor sozialverträglich gestalten, so dass sich die Menschen in Deutschland ihre Miete weiterhin leisten können und aus ihren angestammten Wohnungen nicht verdrängt werden. Die öffentlichen Mittel für die energetische Sanierung von Sozialwohnungen, Wohnungen gemeinnütziger Träger und im bezahlbaren Segment sind unzureichend. Das trägt zur weiteren Schwächung von Mietern mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei und verschärft die Energiearmut einer ohnehin verletzlichen Gruppe.  

ElektroWirtschaft: Wie hängen Klimaschutz und Gebäudesanierung zusammen? Wie lassen sich die Energiewendeziele im Gebäudebestand realisieren?

Ingeborg Esser: Die Gebäudesanierung ist ein zentraler Aspekt, um den Klimaschutz im Gebäudesektor voranzutreiben. Allerdings darf dies nicht der einzige Fokus sein. Die Wohnungsunternehmen in Deutschland haben seit 1990 über zwei Drittel aller Wohnungen vollständig oder teilweise modernisiert. Allein in den vergangenen zehn Jahren haben die Wohnungsunternehmen die enorme Summe von 40 Milliarden Euro allein in die energetische Sanierung investiert. Allerdings ist nach dem massiven Rückgang von 1990 bis 2010 der CO2-Ausstoß in den Wohngebäuden trotz dieser massiven Investitionen kaum mehr gesunken. Einer der Gründe ist, dass die Wohnungsnutzer kaum Anreize hatten, ihren Anteil am Einsparziel zu realisieren. Das zeigt unmissverständlich: Wir brauchen bei der Energiewende im Wohngebäudebereich einen Paradigmenwechsel. Weg von reinem Effizienzdenken – hin zu CO2-Einsparung als zentralem Steuerungsindikator. Dezentrale und CO2-arme Energieerzeugung muss das Ziel sein, für das ganze Wohnquartiere in ihrem Gesamtzusammenhang betrachtet werden müssen. Entscheidend ist aber auch, dass die Wohnungsnutzer beim richtigen Heizen und Lüften durch digitale Technik – insbesondere Smart-Home-Systeme – unterstützt werden.      

ElektroWirtschaft: Seitens des GdW wurde die „Initiative Wohnen.2050“ gegründet.  Worum handelt es sich und was soll damit erreicht werden?

Ingeborg Esser: Bis 2050 – beziehungsweise nun voraussichtlich schon bis 2045 – soll der Gebäudebestand in Deutschland komplett klimaneutral sein. Doch nach wie vor besteht große Unsicherheit, wie das Thema zeitnah und zielführend angegangen werden kann. Genau dieser Problematik widmet sich seit einem Jahr die Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) und verfolgt das Ziel, mit und für Wohnungsunternehmen individuelle Strategien zur Erreichung der Pariser Klimaziele zu entwickeln. Der Zusammenschluss umfasst mittlerweile 86 Unternehmenspartner mit aktuell insgesamt rund 1,8 Millionen Wohneinheiten sowie 10 institutionelle Partner. In weniger als einem Jahr erzielte die Initiative beachtliche Ergebnisse: Bilanzierungsregeln wurden erstellt, drei Werkzeuge zu Bilanzierung, Technik und Finanzierung erarbeitet sowie dazugehörige Lehrvideos und ein Glossar. Die Ende 2020 vom GdW publizierte Arbeitshilfe zum CO2-Monitoring ist ein großer Meilenstein für die Wohnungswirtschaft hinsichtlich einheitlicher Bilanzierungsregeln. Aus dem Handeln der in der IW.2050 zusammengeschlossenen Unternehmen lassen sich wichtige Schlüsse zur Erreichung der Klimaneutralität ziehen.

ElektroWirtschaft: Wie hoch schätzen Sie das aktuelle Tempo bezüglich der Sanierungswelle ein? Besteht Luft nach oben?

Ingeborg Esser: Seit 1990 haben die GdW-Unternehmen bereits rund 30 Prozent ihrer Wohneinheiten teilweise energetisch modernisiert und fast 40 Prozent vollständig. Acht Prozent wurden zu Niedrigenergie-häusern modernisiert, erreichen also den jeweils geltenden energetischen Neubau-Standard oder mehr. Die beobachtete…

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